Julius Stadler (1828–1904)

Geb. 28. August 1828 in Zürich, gest. 27. November 1904 in Lauenen bei Thun

Als Professor an der Bauschule des Eidgenössischen Polytechnikums in Zürich unterrichtete Julius Stadler während 38 Jahren mehrere Generationen von Architekten. Daneben engagierte er sich unter anderem für die Künstlergesellschaft, für das Gewerbemuseum und die Gewerbeschule und war Mitglied zahlreicher Jurys, was ihn zu einer einflussreichen Persönlichkeit in der Zürcher Kunstwelt machte.

Stadler stammte aus einer alteingesessenen Zürcher Familie. Sein Vater Hans Conrad Stadler war der wichtigste klassizistische Architekt in Zürich. Seine Ausbildung begann er am Polytechnikum Karlsruhe, damals geleitet von Heinrich Hübsch; sein Lehrer war Friedrich Eisenlohr. Wegen der 1848er-Unruhen wurde der Unterricht unterbrochen, Stadler setzte sein Studium an der Berliner Bauakademie unter Direktor Friedrich August Stüler und dem Lehrer Heinrich Strack fort. Sein Projekt für die Monatskonkurrenz des Architekten-Vereins vom November 1850 wurde lobend ausgezeichnet.

1851/52 arbeitete Stadler in Basel bei seinem Berliner Kommilitonen Johann Jacob Stehlin am Bau des neuen Postgebäudes, um danach eine grosse Bildungsreise anzutreten, die ihn über Belgien nach Paris und weiter über Marseille nach Florenz führte. Dort traf er Jacob Burckhardt auf seiner «Cicerone-Reise», der Beginn einer bleibenden Freundschaft. Burckhardt publizierte einige Skizzen Stadlers in seinem Buch Die Kultur der Renaissance in Italien (1860). Nach Rom, Neapel und Pompeji ging es zurück nach Pisa und Florenz, Siena, Arezzo, Perugia und Assisi. Im Oktober 1854 wieder in Zürich erhielt Stadler das Angebot einer Stelle am neugegründeten Eidgenössischen Polytechnikum. Unter der Ägide Gottfried Sempers wurde er Hilfslehrer für architektonisches Zeichnen und Direktor der Sammlung von Vorlagen für architektonisches Zeichnen. Viele seiner hervorragenden Studien und Zeichnungen aus Italien wurden Teil der Vorlagensammlung der Bauschule.

Nachdem Semper die Schule 1872 Richtung Wien verlassen hatte, erhielt Stadler eine Professur für Kompositionsübungen, Stillehre und Ornamentik, neben Georg Lasius, der seit 1867 Baukonstruktion lehrte. Zu seinen bekanntesten Schülern zählen Hendrik Petrus Berlage, Karl Moser und Gustav Gull. 1882 übernahm Stadler einen zusätzlichen Lehrauftrag für Landschaftszeichnen. Kompositionsübungen unterrichtete von nun an Alfred Friedrich Bluntschli, ein Cousin Stadlers, der noch unter Semper studiert hatte. Stadler führte die Lehre Sempers weiter, und auch Bluntschli sah sich in dieser Tradition. 1893 trat Stadler aus gesundheitlichen Gründen zurück. Seine Schüler lobten ihn nicht nur wegen seiner Vermittlung des Wissens über Charakteristiken der Stile wie dekorative Elemente und Regeln der Proportion, sondern auch wegen des Umgangs mit Raum und der konsequenten Organisation der Gebäude (Berlage, zit. n.. Singelenberg 1972, S. 7). Besonders erwähnt werden die Exkursionen, die Stadler eingeführt hatte und deren Ziel oft die Landschaft der oberitalienischen Seen war, die für Stadler ein Sehnsuchtsort war (Lasius 1904).

Eigene Bauten realisierte Stadler nur wenige, beispielsweise das Maleratelier seines Schulfreundes Rudolf Koller am Zürichhorn und Umbauten für das Polenmuseum im Schloss Rapperswil. Für das Hotel Baur au Lac in Zürich entwarf er Einrichtungen; ein opulenter Entwurf für ein Gartenportal wurde nicht ausgeführt. Er beteiligte sich an einigen Wettbewerben, so 1858 für das Zürcher Kratz-Quartier, für das auch Semper einen visionären Beitrag leistete, oder am Wettbewerb für das Museumsgebäude der Museumsgesellschaft, das jedoch sein Cousin Ferdinand Stadler bauen konnte. 1874 beteiligte er sich am internationalen Wettbewerb für die Gestaltung der Seequai-Anlage und erhielt dafür den 4. Preis.

Stadler war eine einflussreiche Persönlichkeit der Zürcher Kulturszene. Seit 1848 Mitglied, wurde er 1855 in den Vorstand der Künstlergesellschaft gewählt und war von 1857 bis 1863 Direktor der Sammlung. Früh erkannte er die Bedeutung Arnold Böcklins. Von 1883 bis 1888 war er Präsident der Gesellschaft. Zum Jubiläum des hundertjährigen Bestehens der Künstlergesellschaft 1887 schuf der Bildhauer Richard Kissling eine «Portraitbüste des Präsidenten Julius Stadler als Papst» (heute im Kunsthaus Zürich). 1899 wurde Stadler zusammen mit Rudolf Koller zum Ehrenmitglied ernannt.

Als Jurymitglied war Stadler an der Auswahl der Schweizer Künstlerbeiträge für die Weltausstellung 1867 in Paris beteiligt, ebenso an derjenigen für die Weltausstellung 1873 in Wien. 1883 präsidierte er die Abteilung «Kunst der Gegenwart» der ersten Schweizerischen Landesausstellung in Zürich. Stadlers Abschlussbericht, publiziert als Neujahrsblatt, zeigt eine Gesamtschau des damaligen Kunstschaffens.

Sehr massgeblich war Stadler an der Gründung des Gewerbemuseums und der Gewerbeschule in Zürich beteiligt. Schon 1863 hatte er eine Bitte an Semper gerichtet, sich beim Schulrat für eine «Sammlung von Erzeugnissen des Kunsthandwerks» einzusetzen. Die Wiener Weltausstellung 1873 zeigte dann, dass die Schweiz Nachholbedarf hinsichtlich der Förderung des (Kunst-)Handwerks hatte. Stadler verfasste 1874 den «Entwurf für die Anlage eines Gewerbemuseums», das am 1. November 1875 an der Friedensgasse in der Selnau in Zürich eröffnet wurde. Auch bei der Gewerbeschule kamen die Gründungsimpulse und erste Programmentwürfe von Stadler. Unter dem Eindruck der Ausstellung der deutschen Kunstgewerbeschulen 1876 in München formulierte Stadler den Antrag auf «Errichtung von Kunstgewerblichen Fachschulen in Verbindung mit dem Gewerbemuseum Zürich». 1878 wurde die Gewerbeschule am gleichen Ort eröffnet. Mit der Eröffnung des Schweizerischen Landesmuseums 1898 erhielten beide Institutionen ihren definitiven Standort.

Paul Bissegger

Zitierweise: Paul Bissegger, Bestandsbeschrieb Julius Stadler, in: Website gta Archiv / ETH Zürich, Januar 2024, archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/julius-stadler
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Bestand


  • Zeichnungen, Bauaufnahme und Entwürfe zu 96 Bauten
  • Drucke, Biografika
  • Korrespondenz

In anderen Beständen des gta Archivs
  • Unterlagen zum SIA-Vortrag Stadlers von 1905 sowie zum Neujahrsblatt der Zürcher Künstlergesellschaft 1907 sowie Zeichnungen Stadlers im Archiv Gustav Gull
  • Bauaufnahmen und Exkursionszeichnungen der Architektura im Bestand Bauschule

In anderen Archiven
  • 11 Skizzenbücher, Notizen, Landschaftsskizzen und Architekturaufnahmen, in der Graphischen Sammlung ETH Zürich
  • ETH-Schulratsprotokolle im Hochschularchiv der ETH Zürich: Briefe und Anträge von Gottfried Semper, Julius Stadler, Ernst Gladbach und Georg Christian Lasius
  • Briefe Julius Stadlers an Alfred Friedrich Bluntschli in der Handschriftensammlung der Zentralbibliothek Zürich


Ausgewählte Literatur


  • Alfred Friedrich Bluntschli, Professor Julius Stadler, in: Neue Zürcher Zeitung, 2. Dezember 1904, 2. Beilage.
  • Georg Lasius, Julius Stadler, in: Schweizerische Bauzeitung 44 (1904), Nr. 23, S. 272.
  • Gustav Gull, Erinnerungen an Professor Julius Stadler, in: Schweizerische Bauzeitung 45 (1905), Nr. 17, S. 205–207; Nr. 19, S. 234–236.
  • Wilhelm Oechsli, Geschichte der Gründung des Eidg. Polytechnikums mit einer Übersicht seiner Entwicklung 1855–1905. Zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens, Frauenfeld 1905 (verschiedene Erwähnungen).
  • Gustav Gull, Prof. Julius Stadler, Zürich 1907 (Neujahrsblatt der Zürcher Kunstgesellschaft).
  • Friedrich Otto Pestalozzi, Stadler, Julius, in: Schweizerisches Künstler-Lexikon, Bd. 3, Frauenfeld 1913, S. 200.
  • Peter Singelenberg, H. P. Berlage. Idea and Style – The Quest for Modern Architecture, Utrecht 1972.
  • Martin Tschanz, Die Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, Zürich 2015.