Werkbundsiedlung Neubühl, Zürich: planungsbezogene Dokumente aus dem Genossenschaftsarchiv (1927–2003)

Eine «Initiativgruppe zur Realisierung einer Siedlung in Wollishofen», der der Generalsekretär des Schweizerischen Werkbunds, Friedrich Traugott Gubler, Rudolf Steiger und dessen Partner Carl Hubacher, Max Ernst Haefeli sowie Werner Max Moser angehörten, legte am 9. November 1928 den Grundstein für die Werkbundsiedlung Neubühl, einem der wichtigsten Beiträge des Neuen Bauens in der Schweiz nach dem Vorbild der Weißenhofsiedlung in Stuttgart (1927). Im gleichen Jahr traten der Gruppe Hans Neisse, Mosers Partner Emil Roth, die Bürogemeinschaft von Paul Artaria und Hans Schmidt sowie Sigfried Giedion bei. Die meisten Mitglieder der Gruppe hatten an der Werkbundausstellung in Stuttgart mitgearbeitet und engagierten sich in den ebenfalls 1928 gegründeten CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne). Erfahrungen aus ihrem laufenden Siedlungsprojekt Schorenmatten in Basel (1927–1929) brachten Paul Artaria und Hans Schmidt ein. Für die Gestaltung der Aussenanlagen wurde 1930 der Gartenarchitekt Gustav Ammann hinzugezogen. Die Gründung der Genossenschaft Neubühl am 8. Februar 1929 wurde juristisch begleitet durch den Rechtsanwalt Wladimir Rosenbaum-Ducommun, der bis 1936 als Präsident wirkte.

Die «Wohnung für das Existenzminimum» konnte bei der Entwicklung des Projekt nicht Pate stehen, weil die Distanz zum Stadtzentrum, die Erschliessungskosten, das vergleichsweise wenig dichte Bebauungsmuster und die zögerliche finanzielle Beteiligung der Stadt Zürich die Errichtung von Wohnraum zu niedrigen Mietzinsen ausschlossen. Deshalb wurde die Frage des «befreiten Wohnens» ins Zentrum gestellt. Bis zur Baueingabe im August 1929 entwickelten Mitglieder sowie Teams der Initiativgruppe die verschiedenen Bebauungstypen. Die generelle Baubewilligung lag am 11. April 1930 vor. Ein Baubüro unter der Leitung von Roth und Haefeli war zuvor eingerichtet worden. Die Siedlung wurde von Sommer 1930 an in drei Etappen erbaut. Dank einer weitgehenden Standardisierung und Typisierung von Roh- und Ausbauteilen konnte sie im Frühjahr 1932 fertiggestellt werden.

Die 195 Wohnungen in 10 verschiedenen Grundrisstypen boten ein vielfältiges räumliches Spektrum. Eine Wohnausstellung mit Musterwohnungen unter dem Patronat des Schweizerischen Werkbunds im September 1931 richtete sich an ein vorwiegend junges, fortschrittlich gesinntes Publikum, das als Mieter und Genossenschafter in erster Linie angesprochen war. Die modellhaften Einrichtungen wurden neben den Neubühl-Architekten von Lili Humm-Crawford und Flora Steiger, Max Bill, Wilhelm Kienzle und Ernst F. Burckhardt realisiert. Das teilweise auf die Wohnungsgrundrisse zugeschnittene Mobiliar wurde von der Wohnbedarf AG vertrieben, die Sigfried Giedion und Werner M. Moser im Hinblick auf die Ausstellung mitgründeten. Angesichts der sich veschärfenden Wirtschaftskrise konnten die Wohnungen zunehmend schwerer vermietet werden. Dem sollte sollte eine zweite Ausstellung entgegenwirken, die im Februar 1933 unter der Leitung von Max Ernst Haefeli stattfand.

Die Ausgestaltung der Bauten folgte den damals progagierten Prinzipien des modernen Wohnungsbaus. Nebenräume und Schlafzimmer wurden zugunsten von Wohn- und Esszimmern knapp gehalten. Die Wohnungen verfügten über einen Gartensitzplatz, Balkon oder eine Dachterrasse. Die Haupträume wurden nach Südosten ausgerichtet. Die Fensterfläche war 40 Prozent höher als damals im Durchschnitt üblich. Alle Räume besitzen eine durchgehende Fensterfront. Die Formensprache wurde gemässigt modern gehalten. Mit konventionellen Elementen wie Dachvorsprüngen, Laibungen, Fenstersimsen und einer diskreten beigegrauen Farbgebung der Fassaden und zurückhaltenden Farben im Innern erweckten die Häuser keinen Anstoss. Lediglich die Flachdächer wurden von einer breiteren Öffentlichkeit kritisch beurteilt. In der Fachpresse fand die Siedlung ein positives und anhaltendes Echo.

Die sensible Einbettung der Siedlung in die Landschaft wurde ergänzt durch die Gestaltung der Aussenräume durch Gustav Ammann. Die Siedlung wurde mit locker verteilten Baumgruppen durchsetzt. Typisierte Gärten aus privaten Sitzplätzen, durchgehenden Rasenflächen mit Plattenwegen und Nutzgärten durchziehen die Häuserreihen. Während die Genossenschaft Neubühl in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen unternommen hat, die Aussenraumgestaltung zu erhalten und entlang der ursprünglichen Intention zu entwickeln, sind die landschaftlichen Qualitäten inzwischen wegen der vollständigen Überbauung der Umgebung kaum mehr sichtbar.

Die Siedlung Neubühl wurde 1985/86 durch ARCOOP (Ueli Marbach, Arthur Rüegg umfassend saniert und 1986 in das kantonale Inventar der kunst- und kulturhistorisch wertvollen Schutzobjekte aufgenommen.

Alex Winiger

Zitierweise: Alex Winiger, Bestandsbeschrieb Werkbundsiedlung Neubühl Zürich (basierend auf: Sonja Hildebrand, Bruno Maurer und Werner Oechslin (Hg.), Haefeli Moser Steiger. Die Architekten der Schweizer Moderne, Zürich 2007, S. 221–226) in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, Januar 2012, archiv.gta.arch.ethz.ch/sammlungen/siedlung-neubuehl
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Bestand



Im gta Archiv befinden sich der Planbestand der Genossenschaft Neubühl aus den Jahren 1928 bis 1933, Pläne zur Gesamtsanierung 1983–1986 sowie Unterlagen zu Erweiterungsplanungen 1949–1955, 1973 und 1996. Weitere Unterlagen enthalten die Bestände Haefeli Moser Steiger (HMS), Hans Schmidt, Emil Roth, CIAM, Sigfried Giedion, Alfred Roth, Ernst F. und Elsa Burckhardt-Blum, Walter Custer, Ernst Gisel, Hans Leuzinger, Otto Froebel’s Erben, ARCOOP, Fritz Maurer und der Fonothek. Dies sind im Einzelnen:
  • Planung und Ausführung 1928–1933, Wohnausstellungen 1931 und 1933, CIAM 10 (1956)
  • 5 Planschrankschubladen und 18 Schachteln Pläne im Bestand Werkbundsiedlung Neubühl zu Planung und Ausführung der Siedlung
  • 1/2 Hängeregisterschublade Pläne, Akten und Fotos im HMS-Archiv
  • Pläne, Baubeschriebe der Haustypen, Fotodokumentation im Nachlass Hans Schmidt
  • zahlreiche Fotos, Dokumentation und Akten im Nachlass Emil Roth
  • umfangreiche Dokumentation (Fotos, Zeitungsartikel u. a.) im Sigfried-Giedion-Archiv
  • einige Fotos und Dokumentation im Nachlass Alfred Roth
  • einzelne Dokumente in den Nachlässen Werner M. Moser und Hans Leuzinger, CIAM Archiv
  • Erweiterungsplanung (Teppichsiedlung, Hochhäuser) 1949–1955 (Custer, Escher, Weilenmann, Gisel, Winkler)
  • 1 Archivschachtel Projektstudien (Pläne, Berichte, Modellfotos) im Bestand Werkbundsiedlung Neubühl
  • 1 Archivschachtel Unterlagen im Nachlass Ernst Gisel
  • einzelne Pläne und Erläuterungsbericht im Nachlass Burckhardt-Blum
  • Erweiterungsplanungen 1957–1970, u. a. Hochhäuser, Alterssiedlung (HMS)
  • Pläne, Akten, Modellfotos und Dokumentationen im HMS-Archiv
  • Erweiterungsplanung 1973 (Haefeli, Steiger, Schilling)
  • einzelne Pläne im Bestand Werkbundsiedlung Neubühl
  • einzelne Pläne und Modellfotos im HMS-Archiv
  • Sanierung 1977 (Hellmann, Caretta + Weidmann)
  • einzelne Pläne im Bestand Werkbundsiedlung Neubühl
  • Gesamtsanierung 1983–1986 (ARCOOP)
  • 1/2 Planschrankschublade Pläne in Bestand Werkbundsiedlung Neubühl
  • Pläne, Modell in Bestand ARCOOP
  • Wettbewerb zu Erweiterung Zwängiwiese 1996
  • Vorprojektstudie in Bestand ARCOOP
  • 1 Mappe mit Wettbewerbsprojekten in Bestand Werkbundsiedlung Neubühl

Im Archiv der Genossenschaft Neubühl befinden sich umfangreiche Verwaltungsakten aus der Bau- und Frühzeit der Genossenschaft, Unterlagen zu den Sanierungen sowie eine Foto- und Pressedokumentation.


Ausgewählte Literatur


  • Sigfried Giedion, Bauen in der Schweiz, in: Das Neue Frankfurt 3 (1929), Nr. 6, S.  10–112.
  • Peter Meyer, Die Werkbund-Siedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1420, 21. Juli 1929.
  • Werner M. Moser, Werkbundsiedlung Zürich-Wollishofen, in: Zürcher Post, Nr. 18, 2. August 1929.
  • Von der Werkbund-Siedlung «Neubühl» in Zürich-Wollishofen, in: Schweizerische Bauzeitung 93 (1929), Nr. 26, S. 317–321.
  • Die Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen, in: Das Werk 17 (1930), Nr. 6, S. 182–187.
  • Sigfried Giedion, Siedlung Neubühl, in: Bauwelt 22 (1931), Nr. 45, S. 1–16.
  • Die Werkbundsiedlung 'Neubühl' in Zürich-Wollishofen, in: Schweizerische Bauzeitung 98 (1931), Nr. 12, S. 141–148, 156–162.
  • C[ornelis] van Eesteren und Sigfried Giedion, Die Werkbund-Siedlung Neubühl, in: Neue Zürcher Zeitung, 19. September 1931.
  • Marcel Breuer, Das Innere des Hauses, in: Neue Zürcher Zeitung, 23. September 1931.
  • Georg Schmidt, Die Werkbund-Siedlung «Neubühl» Zürich-Wollishofen, in: National-Zeitung, 24. September 1931.
  • Die Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen, in: Das Werk 18 (1931), Nr. 8, S. 257–279.
  • La Colonie d’habitations de Neubühl, Zurich, in: L’Habitation 4 (1931), Nr. 12, S. 89–92.
  • Sigfried Giedion, Woonwjik «Neubuehl» te Zurich, in: de 8 Opbouw 3 (1932), Nr. 3, S. 23–30.
  • Alfred Roth, Die neue Architektur, Zürich 1940, S. 71–90.
  • Sigfried Giedion u. a. (Hg.), Moderne Schweizer Architektur, Loseblattausgabe, Teil 1, Basel 1940, o. S.
  • Rudolf Steiger, 46 Jahre Bauen und Planen, Zürich [1970|, S. 15–20.
  • Um 1930 in Zürich. Neues Denken – Neues Wohnen – Neues Bauen, Ausst.-Kat., Zürich 1977, S. 131–155.
  • Rationelle Bebauungsweisen. Ergebnisse des 3. Internationalen Kongresses für Neues Bauen (Brüssel, November 1930), Reprint, Nendeln 1979, Taf. 19.
  • C[laude] L[ichtenstein], Werkbundsiedlung «Neubühl», in: archithese 10 (1980), Nr. 2, S. 62.
  • Interview mit Rudolf Steiger in Zürich am 14. November 1979, in: Die zwanziger Jahre des Deutschen Werkbundes, Darmstadt/Berlin 1982, S. 230–247, hier S. 230.
  • Neues Bauen in der Schweiz. Führer zur Architektur der 20er und 30er Jahre, Bd. 1, Blauen 1985, S. 159.
  • Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart 1983, S. 213–214.
  • Ueli Marbach und Arthur Rüegg, Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen 1928–1932. Ihre Entstehung und Erneuerung, Zürich 1990.
  • Schweizer Architekturführer 1920–1990, Bd. 1: Nordost- und Zentralschweiz, Zürich 1992, S. 168–169.
  • Hans Schmidt 1893–1972. Architekt in Basel, Moskau, Berlin-Ost, Zürich 1993, S. 189f.
  • Baukultur in Zürich: Enge, Wollishofen, Leimbach, Zürich 2006, S. 132.
  • Johannes Stoffler, Gustav Ammann. Landschaften der Moderne in der Schweiz, Zürich 2007.
  • Sonja Hildebrand, Bruno Maurer und Werner Oechslin (Hg.), Haefeli Moser Steiger. Die Architekten der Schweizer Moderne, Zürich 2007, S. 221–226.