Justus Dahinden (1925–2020)

Geb. am 18. Mai 1925 in Zürich, gest. am 11. April 2020 in Zürich

Justus Dahinden diplomierte 1949 bei Hans Hofmann an der ETH Zürich. Nach dem Studium fand er eine Anstellung bei William Dunkel (u. a. Mitarbeit am Stadionprojekt Oktogon, 1953). Von 1949 bis 1952 war er Assistent an Dunkels Lehrstuhl an der ETH Zürich und promovierte an diesem 1956 zum Thema «Versuch einer Standortbestimmung der Gegenwartsarchitektur». 1955 gründete er ein eigenes Büro in Zürich. Dahinden verfasste zahlreiche Schriften, unter anderem zum Kirchenbau und zu städtebaulichen Themen. Seine theoretischen Schriften entstanden oft im Zusammenhang mit eigenen Projekten.

Bereits mit seinem ersten Bau, dem Zelthaus auf der Rigi (1955), machte Dahinden deutlich, dass er sich der Dogmatik des rechten Winkels zu entziehen gedachte. Die Abgrenzung zur Formensprache der Moderne schlägt sich auch in seinen Schriften nieder, in denen er die Technokratie und den Funktionalismus des Neuen Bauens heftig kritisiert. Dem Anspruch der Moderne, dass die Wirkungsmacht der Architektur den Menschen krank wie auch gesund mache, bleibt er hingegen treu. Für ihn sind Gebäude nicht als singuläre Werke innerhalb einer gebauten Umwelt zu verstehen, sondern verfügen über die Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen und voranzutreiben.

Dahindens theoretische Grundlagen für seine Entwürfe finden sich in seinen zahlreichen Schriften. Sein Ziel ist ein ganzheitliches, harmonisches Mensch-Raum-Verhältnis, das er wegleitend an vier Komponenten festmacht: dem Architekten Bruno Taut (Ganzheitlichkeit der Architektur), dem islamischen Stadtwesen (das nicht nur äusserlichen Regeln, sondern einer inneren Ordnung folge und das Profanes und Religiöses vereinend die Gemeinschaft als Lebensform konstituiere), der Lehre Rudolf Steiners (Ganzheitlichkeit der menschlichen Kreativität) und im Stadtexperiment der «Weltgemeinschaft» in Auroville (Indien), die 1968 gegründet wurde (die spirituelle Erfahrung im Mitdenken des Universums als Bestandteil des Seins).

In den 1960er Jahren baute Dahinden zahlreiche Kirchen, wobei er sich an den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzil orientierte. Er vermied langgezogene Kirchenschiffe und entwarf Räume, die Pfarrer und Gläubige zu einer Gemeinschaft vereinten. Exemplarisch kann das am kreisförmigen Grundriss der Pfarreikirche St. Antonius (1965–1969) in Wildegg aufgezeigt werden oder an der Pfarrkirche Maria Krönung (1960–1965) in Zürich-Witikon. In beiden Kirchen sind die Bänke im Halbkreis um den Altar angeordnet. Kirchenbau war für Dahinden eine universale Bauaufgabe, die ihn bis nach Afrika führte. Seine Leitgedanken zur «veränderten Kirche», die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vermehrt den Dialog suchte und weniger mit autoritativen Mitteln missionierte, publizierte er 1966 in Bauen für die Kirche in der Welt. Dahinden war wie auch Hermann Baur und Fritz Metzger Mitglied der Vereinigung Bund der Missionsarchitekten (BMA).

In Afrika und im Iran beschäftigte sich Dahinden mit vernakulärer Architektur, wobei ihm die Mithilfe der lokalen Bevölkerung ein besonderes Anliegen war. In diesem Zusammenhang spricht er von einer «Akkulturation der Architektur» und meint damit eine orts- und klimaspezifische ganzheitliche Baukultur, die – unter Einbezug neuer Techniken – auf Traditionen beruht. Unter diesen Prämissen entstanden in Uganda das Gemeindezentrum von Mityana (1965–1972) und die Kathedrale von Namugongo (1973). Das zusammen mit Heinz Isler entwickelte und als erdbebensicher bezeichnete Bubble-System orientiert sich am iranischen Kuppelbau sowie auch an einer traditionellen, zum privaten Hof hin angelegten Raumanordnung.

Mit modularen und additiven Bausystemen entwarf Dahinden Bauten und Stadtvisionen, sodass sich ausgehend von einem Einfamilienhaus eine grossstädtische Anlage ausbilden kann. Beispiele sind das Trigon-System (u. a. Trigon-Dorf Cala en Bosc auf Menorca, 1971–1973, Trigon-Dorf im Doldertal in Zürich, 1966–1969), das Quadrivium-System für flexible Museumsstrukturen oder das Cubo-Bausystem für öffentliche Grossbauten oder mehrgeschossige Reihen- wie Einfamilienhäuser. Ferner entwickelte er unter anderem zusammen mit Walter Jonas schwimmende Strukturen. Seine technologischen Stadtvisionen wie Radio City (1968–1970) und Kiryat Ono (1969–1971) basieren auf modularen Einheiten, die beliebig wachsen können. Der Aufbau dieser hügelförmigen Elemente soll die «inhumane Vertikaldimension» vermeiden und Privat- und Öffentlichkeit sichtbar trennen.

Für Aufsehen sorgte Dahinden aber nicht nur mit architektonischen Utopien, sondern auch mit markanten Bauten wie der «Freizeitstadt» Schwabylon in München (1974) oder dem Ferrohaus (1965–1970) in Zürich, bei dem er mit der Rückstaffelung der oberen Geschosse auf die Bauvorschriften reagierte.

Dahinden wurde 1974 als ordentlicher Professor an die Technische Universität Wien berufen. In den 1980er und 1990er Jahren erhielt er diverse Ehrendoktor-Würden, so 1985 der Fakultät für Architektur und Städtebau der Universidad de Buenos Aires, sowie zahlreichen Preise wie etwa 1981 den Grand prix d’architecture du cercle d’etudes architecturales für das Ferienzentrum Twannberg.

Muriel Pérez

Zitierweise: Muriel Pérez, Bestandesbeschrieb Justus Dahinden, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, April 2020, archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/justus-dahinden
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Bestand



Der Nachlass von Justus Dahinden umfasst Pläne, Akten, vereinzelte Fotos sowie Modelle zu seinen Bauten und Entwürfen. Hinzu kommen Materialien zu seinen Schriften, zur Lehrtätigkeit sowie zu Vorträgen und Ausstellungsprojekten. Zu einem späteren Zeitpunkt werden auch die Fotodokumentationen und Publikationen zu den Bauten und Entwürfen sowie die Bibliothek dem gta Archiv übergeben werden. Einen repräsentativen Bestand an Plänen und Modellen, insbesondere Dahindens utopischen Stadtentwürfen, hält das Frac Centre-Val de Loire in Orléans.
Im Detail enthält der Nachlass:
  • cica 450 Planrollen
  • 78 Laufmeter Schachteln und Ordner
  • circa 20 Modelle
  • circa 100 Ausstellungstafeln


Ausgewählte Literatur



Eigene Schriften
  • Versuch einer Standortbestimmung der Gegenwartsarchitektur, Zürich 1956.
  • Bauen für die Kirchen in der Welt, 1966 Zürich.
  • Stadtstrukturen für morgen. Analysen, Thesen, Modelle, Teufen/Stuttgart 1971.
  • Denken, Fühlen, Handeln, Stuttgart/Lausanne/Paris 1973.
  • Architektur, Stuttgart/Zürich 1987.
  • Architektur – Form und Emotion, Stuttgart 2014.

Sekundärliteratur

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