Gottfried Semper (1803–1879)
Geb. 29. November 1803 in Hamburg, gest. 15. Mai 1879 in Rom
Nach historischen und mathematischen Studien an der Göttinger Universität (1823–1825), einem Abstecher an die Münchner Kunstakademie (1825–1826) und einem Baupraktikum in Regensburg (1826) begann Semper in den Jahren 1826 und 1827 in Franz Christian Gaus Pariser Atelier, sich ernsthaft zum Architekten auszubilden. Noch einmal verbrachte er zwei unstete Jahre in Deutschland, die er für ein Baupraktikum in Bremen (1828) nutzte. 1829 setzte er seine Ausbildung in Gaus Atelier fort; aber schon 1830 brach er zu einer dreijährigen Studienreise auf, die ihn durch Südfrankreich und Italien nach Sizilien und Griechenland und durch Italien zurück nach Deutschland führte. Als aufmerksamer Architekt und beharrlicher Archäologe spürte er mit besonderem Eifer den Resten polychromer Bemalung an antiken Bauwerken nach. 1834 fasste er seine Erkenntnisse in der kurzen Schrift Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architectur und Plastik bei den Alten zusammen. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, diesen «Vorläufigen Bemerkungen» einen umfangreichen Atlas folgen zu lassen, musste er sich auf ein einziges, 1836 unter dem Titel Die Anwendung der Farben in der Architectur und Plastik publiziertes Heft beschränken.
Mit jener in die aktuelle Polychromiedebatte eingreifenden Schrift empfahl sich Semper 1834 für seine erste Professur an der Dresdener Kunstakademie. Auf Lebzeit gewählt, obwohl er noch keinen einzigen Bau hatte ausführen können, entfaltete er von Anfang an eine breite Tätigkeit: Er reformierte – wie später in London und Zürich – den künstlerischen Unterricht seiner Schule, verfasste architektonische Gutachten, entwarf eine Reihe bedeutender Bauten – insbesondere das Theater (1838–1841) und das Museum (1847–1855) in Dresden – und beschäftigte sich seit 1843 mit dem Projekt einer «Vergleichenden Baulehre», das in den folgenden drei Jahrzehnten den Kern seiner immensen theoretischen Arbeit bildete.
Da sich Semper im Zuge der europäischen Revolutionen 1848/49 am Dresdner Maiaufstand 1849 gegen das sächsische Königtum beteiligte, musste er aus Deutschland fliehen, um dem Kerker zu entrinnen. Über Paris reiste er 1850 in die – sich auf die erste Weltausstellung (1851) vorbereitende – englische Metropole London, in der er nach zwei wissenschaftlich ergiebigen, aber ökonomisch beschwerlichen Jahren eine Professur für kunstgewerbliche und architektonische Fächer errang.
1855 wurde Semper als Professor und Vorsteher der Bauschule an die neugegründete Eidgenössische Polytechnische Schule in Zürich, die heutige ETH, gewählt. In seinen 16 Schweizer Jahren entstanden zum einen die ersten zwei Bände seines einflussreichen Werkes Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik (1860/1863) – ein dritter Band blieb fragmentarischer Entwurf –, zum anderen so wichtige Gebäude und Projekte wie das Zürcher Polytechnikum (1860–1865/1870), das Winterthurer Stadthaus (1865–1870) und die unverwirklichten Theater für Rio de Janeiro (1858) und München (1864–1867).
Von den kleinlichen schweizerischen Verhältnissen enttäuscht, siedelte Semper 1871 nach Wien über, um mit Carl Hasenauer die beiden Hofmuseen (1871–1891) und das Hofburgtheater (1874–1888) zu projektieren. 1877 zog er sich jedoch aus der zermürbenden Gemeinschaft und aus der beruflichen Tätigkeit zurück.
Wie kaum ein anderer Architekt des 19. Jahrhunderts verstand Semper, Künste und Wissenschaften fruchtbar zu kombinieren und seine Bauten ebenso wie seine Schriften in der gesamten Kultur zu verorten. Einseitig oder unrichtig interpretiert, geriet sein Werk um 1900 in Verruf. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird es nach und nach rehabilitiert. Der Semper’sche Nachlass, der auf mehreren Wegen in den Besitz der ETH Zürich gelangte, bildete mit Akten der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) 1967 den Grundbestand des gta Archivs.
Gregor Harbusch
Zitierweise: Gregor Harbusch, Bestandsbeschrieb Gottfried Semper, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, 2015, archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/gottfried-semper
© gta Archiv / ETH Zürich und der Autor, alle Rechte bleiben vorbehalten. Dieses Werk darf für nichtkommerzielle, pädagogische Zwecke kopiert und weiterverbreitet werden, wenn die Erlaubnis des Autors und der Inhaber der Nutzungsrechte erteilt ist. Für die Genehmigung wenden Sie sich bitte an das gta Archiv.
Der Bestand zu Gottfried Semper umfasst Pläne, Fotografien und Schriftstücken zu über 100 architektonischen und kunstgewerblichen Werken (1827–1875), Reiseskizzen, theoretische Schriften, geschäftliche und private Briefe sowie biografische Dokumente. Weitere Unterlagen befinden sich im Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden, im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg sowie im Deutschen Theatermuseum München.
Eigene Schriften
Sekundärliteratur
Nach historischen und mathematischen Studien an der Göttinger Universität (1823–1825), einem Abstecher an die Münchner Kunstakademie (1825–1826) und einem Baupraktikum in Regensburg (1826) begann Semper in den Jahren 1826 und 1827 in Franz Christian Gaus Pariser Atelier, sich ernsthaft zum Architekten auszubilden. Noch einmal verbrachte er zwei unstete Jahre in Deutschland, die er für ein Baupraktikum in Bremen (1828) nutzte. 1829 setzte er seine Ausbildung in Gaus Atelier fort; aber schon 1830 brach er zu einer dreijährigen Studienreise auf, die ihn durch Südfrankreich und Italien nach Sizilien und Griechenland und durch Italien zurück nach Deutschland führte. Als aufmerksamer Architekt und beharrlicher Archäologe spürte er mit besonderem Eifer den Resten polychromer Bemalung an antiken Bauwerken nach. 1834 fasste er seine Erkenntnisse in der kurzen Schrift Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architectur und Plastik bei den Alten zusammen. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, diesen «Vorläufigen Bemerkungen» einen umfangreichen Atlas folgen zu lassen, musste er sich auf ein einziges, 1836 unter dem Titel Die Anwendung der Farben in der Architectur und Plastik publiziertes Heft beschränken.
Mit jener in die aktuelle Polychromiedebatte eingreifenden Schrift empfahl sich Semper 1834 für seine erste Professur an der Dresdener Kunstakademie. Auf Lebzeit gewählt, obwohl er noch keinen einzigen Bau hatte ausführen können, entfaltete er von Anfang an eine breite Tätigkeit: Er reformierte – wie später in London und Zürich – den künstlerischen Unterricht seiner Schule, verfasste architektonische Gutachten, entwarf eine Reihe bedeutender Bauten – insbesondere das Theater (1838–1841) und das Museum (1847–1855) in Dresden – und beschäftigte sich seit 1843 mit dem Projekt einer «Vergleichenden Baulehre», das in den folgenden drei Jahrzehnten den Kern seiner immensen theoretischen Arbeit bildete.
Da sich Semper im Zuge der europäischen Revolutionen 1848/49 am Dresdner Maiaufstand 1849 gegen das sächsische Königtum beteiligte, musste er aus Deutschland fliehen, um dem Kerker zu entrinnen. Über Paris reiste er 1850 in die – sich auf die erste Weltausstellung (1851) vorbereitende – englische Metropole London, in der er nach zwei wissenschaftlich ergiebigen, aber ökonomisch beschwerlichen Jahren eine Professur für kunstgewerbliche und architektonische Fächer errang.
1855 wurde Semper als Professor und Vorsteher der Bauschule an die neugegründete Eidgenössische Polytechnische Schule in Zürich, die heutige ETH, gewählt. In seinen 16 Schweizer Jahren entstanden zum einen die ersten zwei Bände seines einflussreichen Werkes Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik (1860/1863) – ein dritter Band blieb fragmentarischer Entwurf –, zum anderen so wichtige Gebäude und Projekte wie das Zürcher Polytechnikum (1860–1865/1870), das Winterthurer Stadthaus (1865–1870) und die unverwirklichten Theater für Rio de Janeiro (1858) und München (1864–1867).
Von den kleinlichen schweizerischen Verhältnissen enttäuscht, siedelte Semper 1871 nach Wien über, um mit Carl Hasenauer die beiden Hofmuseen (1871–1891) und das Hofburgtheater (1874–1888) zu projektieren. 1877 zog er sich jedoch aus der zermürbenden Gemeinschaft und aus der beruflichen Tätigkeit zurück.
Wie kaum ein anderer Architekt des 19. Jahrhunderts verstand Semper, Künste und Wissenschaften fruchtbar zu kombinieren und seine Bauten ebenso wie seine Schriften in der gesamten Kultur zu verorten. Einseitig oder unrichtig interpretiert, geriet sein Werk um 1900 in Verruf. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird es nach und nach rehabilitiert. Der Semper’sche Nachlass, der auf mehreren Wegen in den Besitz der ETH Zürich gelangte, bildete mit Akten der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) 1967 den Grundbestand des gta Archivs.
Gregor Harbusch
Zitierweise: Gregor Harbusch, Bestandsbeschrieb Gottfried Semper, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, 2015, archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/gottfried-semper
© gta Archiv / ETH Zürich und der Autor, alle Rechte bleiben vorbehalten. Dieses Werk darf für nichtkommerzielle, pädagogische Zwecke kopiert und weiterverbreitet werden, wenn die Erlaubnis des Autors und der Inhaber der Nutzungsrechte erteilt ist. Für die Genehmigung wenden Sie sich bitte an das gta Archiv.
Bestand
Der Bestand zu Gottfried Semper umfasst Pläne, Fotografien und Schriftstücken zu über 100 architektonischen und kunstgewerblichen Werken (1827–1875), Reiseskizzen, theoretische Schriften, geschäftliche und private Briefe sowie biografische Dokumente. Weitere Unterlagen befinden sich im Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden, im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg sowie im Deutschen Theatermuseum München.
Ausgewählte Literatur
Eigene Schriften
- Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architectur und Plastik bei den Alten, Altona 1834.
- Über den Bau evangelischer Kirchen. Mit besonderer Beziehung auf die Frage über die Art des Neubaues der Nikolaikirche in Hamburg und auf ein dafür entworfenes Projekt, Leipzig 1845.
- Das königliche Hoftheater zu Dresden, Braunschweig 1849.
- Die vier Elemente der Baukunst. Ein Beitrag zur vergleichenden Baukunde, Braunschweig 1851.
- Wissenschaft, Industrie und Kunst. Vorschläge zur Anregung nationalen Kunstgefühles, Braunschweig 1852.
- Über die bleiernen Schleudergeschosse der Alten und über zweckmässige Gestaltung der Wurfkörper im Allgemeinen. Ein Versuch die dynamische Entstehung gewisser Formen in der Natur und in der Kunst nachzuweisen, Frankfurt am Main 1859.
- Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Aesthetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, Bd. 1, Frankfurt am Main 1860, Bd. 2, München 1863.
Sekundärliteratur
- Constantin Lipsius, Gottfried Semper in seiner Bedeutung als Architekt, Berlin 1880.
- Hans Semper und Manfred Semper (Hg.), Kleine Schriften von Gottfried Semper, Berlin/Stuttgart 1884.
- Claus Zoege von Manteuffel, Die Baukunst Gottfried Sempers, Diss., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 1952.
- Martin Fröhlich, Gottfried Semper. Zeichnerischer Nachlass an der ETH Zürich. Kritischer Katalog, Basel/Stuttgart 1974.
- Wolfgang Herrmann, Gottfried Semper. Theoretischer Nachlass an der ETH Zürich. Katalog und Kommentare, Basel/Boston/Stuttgart 1981.
- Winfried Nerdinger und Werner Oechslin (Hg.), Gottfried Semper 1803–1879. Architektur und Wissenschaft, München/Zürich 2003.
- Sonja Hildebrand, Gottfried Semper. Architekt und Revolutionär, Darmstadt 2020.