Forschungsprojekt
CIAM 4. The Functional City
Forschungsprojekt
Bruno Maurer, Gregor Harbusch (Projektleitung Zürich), Daniel Weiss in Zusammenarbeit mit Prof. Dirk Frieling (†), Dr. Kees Somer, Evelien van Es (Projektleitung Den Haag), Dr. Michelle Provoost
Das Forschungs- und Publikationsprojekt «CIAM 4. The Functional City» möchte das vierte Treffen der Congrès Internationaux d‘Architecture Moderne (CIAM) im Sommer 1933 zum ersten Mal einer systematischen historiographischen Bewertung zu unterziehen. Erstaunlicherweise gibt es hier ein Forschungsdesiderat, obgleich der Kongress über die Jahrzehnte zu einer legendären Referenz wurde – sowohl für die Anhänger als auch für die Kritiker der funktionalen Stadtplanung.
Konzipiert unter der Federführung von Sigfried Giedion, Le Corbusier und Cornelis van Eesteren, fand der Kongress, neben einigen Veranstaltungen in Athen, vor allem auf dem Kreuzfahrtschiff Patris II statt, das von Marseille nach Athen und zurück fuhr. Nach den Kongressen «Die Wohnung für das Existenzminimum» (Frankfurt a. M. 1929) und «Rationelle Bebauungsweisen» (Brüssel 1930) war «Die funktionale Stadt» der ambitionierte Schritt, moderne Methoden der Analyse und Planung auf den Massstab der Stadt auszudehnen. Die Themen des Treffens wurden in den folgenden Jahrzehnten sowohl für den Städtebau der Moderne als auch für seine Kritiker zum kanonischen Bezugspunkt schlechthin. Als zentral wurden und werden bis heute etwa das Paradigma der strikten Funktionstrennung und die Leitsätze in der «Charta von Athen», die Le Corbusier im Jahr 1943 herausgab, gewürdigt bzw. kritisiert. Legendär wurde der Kongress aber auch durch die einzigartige Atmosphäre der gemeinschaftlichen Diskussionen an Bord und die Besuche antiker Monumente und vernakulärer Bauten Griechenlands.
Der Kongress markiert in seinem ausgreifenden und programmatischen Anspruch einen Höhepunkt und – mit Blick auf das zeitgleiche Erstarken der politischen Totalitarismen in Europa – einen Bruch der Moderne der Zwischenkriegszeit. Greifbar wird dies nicht zuletzt im aussergewöhnlichen Ort des Treffens selbst. Das lange geplante Treffen sollte ursprünglich in Moskau stattfinden, da man in der Sowjetunion ein besonderes Potential für grossmassstäbliche Stadtplanungen erkannte. Auf Grund der politischen Veränderungen musste der Kongressort jedoch kurzfristig verlegt werden. Dass man in den mediterranen Raum auswich, ist kein Zufall, sondern spiegelt auch die Verschiebung des Blicks der architektonischen Moderne wider – auf die vermeintlichen Peripherien, die antike Tradition und das mediterrane vernakuläre Bauen.
Das Forschungsprojekt will nicht nur die harsche und teils verkürzte Kritik an dem Kongress einer Revision unterziehen, sondern auch die Einschätzung und Selbstinszenierung des Treffens als historischer Verdichtungspunkt der modernen Stadtplanung hinterfragen. Ansatzpunkt soll deshalb der genaue Blick auf die unterschiedlichen Vorstellungen, Debatten und Zielsetzungen der Kongressteilnehmer sein sowie die Untersuchung ihrer Arbeitsmethode vor dem Hintergrund damaliger und späterer Auseinandersetzungen mit dem Phänomen Stadt und dessen Analysierbarkeit. Der Fokus wird darum auf den 34 Stadtanalysen liegen, die von den Delegierten der insgesamt 18 damals beteiligten CIAM-Ländergruppen mit hohem persönlichen Einsatz angefertigt und dann an Bord des Schiffs ausgiebig diskutiert wurden. Unter Verwendung zeitgenössischer Kartierungs- und Darstellungstechniken versuchten diese Karten die vergleichende Analyse von Städten im internationalen Blickwinkel zu ermöglichen; die untersuchten Beispiele reichten von Baltimore, Los Angeles und Detroit über eine Vielzahl europäischer Städte bis zu den beiden Kolonialstädten Dalat und Bandung. Diese gemeinsam ausgewerteten Stadtanalysen waren der Schwerpunkt des Treffens. Auf eine verbindliche Planungs- und Entwurfsprogrammatik konnte man sich damals jedoch nicht einigen. Die Delegierten fassten zwar den Entschluss, später eine Synthese zu erarbeiten – trotz verschiedener Bemühungen kam diese jedoch nie zu Stande. So spiegelt beispielsweise die spät erschienene «Charta von Athen» eher die partikularen Vorstellungen Le Corbusiers wider und kann nicht als verbindliches Ergebnis des Treffens begriffen werden.
Die diskursiven und faktischen Voraussetzungen der Städtebaudebatten an Bord, die unterschiedlichen Vorstellungen der Akteure und ihre länderspezifischen Entwurfstraditionen sowie die vergleichende Stadtanalyse auf der Basis moderner kartografischer Darstellungstechniken stehen im Fokus des Forschungsprojekts. Grundlage hierfür sind die Dokumente im CIAM-Archiv des gta Archivs der ETH Zürich, die in den letzten Jahren von verschiedenen internationalen Forschern punktuell bearbeitet wurden. Das Projekt führt diese Ansätze zusammen und publiziert erstmalig alle 34 Stadtanalysen, die sich in Form von gut 230 originalen Sperrholztafeln erhalten haben und zu den bedeutendsten Konvoluten des gta Archivs zählen. Dieser ausführliche und kritische Katalog wird die Grundlage für die Aufsätze sein. Deren Themenfelder sind die Geschichte der Wissensgenerierung durch vergleichende Analyse, grafische Repräsentations- und Kartierungstechniken in der modernen Stadtplanung, die Kritik der Nachkriegsmoderne am vierten CIAM-Treffen und die Traditionslinien von der klassisch modernen Stadtanalyse bis in die Gegenwart.
Die Publikation erhebt den Anspruch, die Stadtanalysen im Katalogteil verbindlich zu erschliessen und durch die Aufsätze in den historischen und internationalen Kontext zu stellen. Sie erscheint in institutioneller Herausgeberschaft der beiden Projektpartner und in englischer Sprache, als Kooperation von NAi Publishers, Rotterdam, mit dem gta Verlag. Das Buch wird wichtige Quellen für die weitere Forschung erstmals systematisch zugänglich machen und einen Meilenstein der Städtebaugeschichte des 20. Jahrhunderts neu zur Diskussion stellen.
«CIAM 4. The Functional City» ist ein Forschungs- und Publikationsprojekt des gta Archivs der ETH Zürich in Kooperation mit der Van Eesteren-Fluck & Van Lohuizen Stichting, Den Haag. Mitglieder des Projektteams: Dirk Frieling (†), Gregor Harbusch (Projektleitung Zürich), Bruno Maurer, Michelle Provoost, Kees Somer, Evelien van Es (Projektleitung Den Haag), Daniel Weiss
Autoren des Katalogteils: Tamara Bjažić Klarin, Enrico Chapel, Konstanze Domhardt, András Ferkai, Helen Fessas-Emmanouil, John R. Gold, Gregor Harbusch, Eric Jennings, Espen Johnsen, Martin Kohlrausch, David Kuchenbuch, Eric Mumford, Paolo Nicoloso, Pauline van Roosmalen, Josep M. Rovira, Rainer Schützeichel, Kees Somer, Klaus Spechtenhauser, Iwan Strauven und Daniel Weiss.
Van Eesteren-Fluck & Van Lohuizen Stichting, Den Haag
Gregor Harbusch
Bruno Maurer, Gregor Harbusch (Projektleitung Zürich), Daniel Weiss in Zusammenarbeit mit Prof. Dirk Frieling (†), Dr. Kees Somer, Evelien van Es (Projektleitung Den Haag), Dr. Michelle Provoost
Das Forschungs- und Publikationsprojekt «CIAM 4. The Functional City» möchte das vierte Treffen der Congrès Internationaux d‘Architecture Moderne (CIAM) im Sommer 1933 zum ersten Mal einer systematischen historiographischen Bewertung zu unterziehen. Erstaunlicherweise gibt es hier ein Forschungsdesiderat, obgleich der Kongress über die Jahrzehnte zu einer legendären Referenz wurde – sowohl für die Anhänger als auch für die Kritiker der funktionalen Stadtplanung.
Konzipiert unter der Federführung von Sigfried Giedion, Le Corbusier und Cornelis van Eesteren, fand der Kongress, neben einigen Veranstaltungen in Athen, vor allem auf dem Kreuzfahrtschiff Patris II statt, das von Marseille nach Athen und zurück fuhr. Nach den Kongressen «Die Wohnung für das Existenzminimum» (Frankfurt a. M. 1929) und «Rationelle Bebauungsweisen» (Brüssel 1930) war «Die funktionale Stadt» der ambitionierte Schritt, moderne Methoden der Analyse und Planung auf den Massstab der Stadt auszudehnen. Die Themen des Treffens wurden in den folgenden Jahrzehnten sowohl für den Städtebau der Moderne als auch für seine Kritiker zum kanonischen Bezugspunkt schlechthin. Als zentral wurden und werden bis heute etwa das Paradigma der strikten Funktionstrennung und die Leitsätze in der «Charta von Athen», die Le Corbusier im Jahr 1943 herausgab, gewürdigt bzw. kritisiert. Legendär wurde der Kongress aber auch durch die einzigartige Atmosphäre der gemeinschaftlichen Diskussionen an Bord und die Besuche antiker Monumente und vernakulärer Bauten Griechenlands.
Der Kongress markiert in seinem ausgreifenden und programmatischen Anspruch einen Höhepunkt und – mit Blick auf das zeitgleiche Erstarken der politischen Totalitarismen in Europa – einen Bruch der Moderne der Zwischenkriegszeit. Greifbar wird dies nicht zuletzt im aussergewöhnlichen Ort des Treffens selbst. Das lange geplante Treffen sollte ursprünglich in Moskau stattfinden, da man in der Sowjetunion ein besonderes Potential für grossmassstäbliche Stadtplanungen erkannte. Auf Grund der politischen Veränderungen musste der Kongressort jedoch kurzfristig verlegt werden. Dass man in den mediterranen Raum auswich, ist kein Zufall, sondern spiegelt auch die Verschiebung des Blicks der architektonischen Moderne wider – auf die vermeintlichen Peripherien, die antike Tradition und das mediterrane vernakuläre Bauen.
Das Forschungsprojekt will nicht nur die harsche und teils verkürzte Kritik an dem Kongress einer Revision unterziehen, sondern auch die Einschätzung und Selbstinszenierung des Treffens als historischer Verdichtungspunkt der modernen Stadtplanung hinterfragen. Ansatzpunkt soll deshalb der genaue Blick auf die unterschiedlichen Vorstellungen, Debatten und Zielsetzungen der Kongressteilnehmer sein sowie die Untersuchung ihrer Arbeitsmethode vor dem Hintergrund damaliger und späterer Auseinandersetzungen mit dem Phänomen Stadt und dessen Analysierbarkeit. Der Fokus wird darum auf den 34 Stadtanalysen liegen, die von den Delegierten der insgesamt 18 damals beteiligten CIAM-Ländergruppen mit hohem persönlichen Einsatz angefertigt und dann an Bord des Schiffs ausgiebig diskutiert wurden. Unter Verwendung zeitgenössischer Kartierungs- und Darstellungstechniken versuchten diese Karten die vergleichende Analyse von Städten im internationalen Blickwinkel zu ermöglichen; die untersuchten Beispiele reichten von Baltimore, Los Angeles und Detroit über eine Vielzahl europäischer Städte bis zu den beiden Kolonialstädten Dalat und Bandung. Diese gemeinsam ausgewerteten Stadtanalysen waren der Schwerpunkt des Treffens. Auf eine verbindliche Planungs- und Entwurfsprogrammatik konnte man sich damals jedoch nicht einigen. Die Delegierten fassten zwar den Entschluss, später eine Synthese zu erarbeiten – trotz verschiedener Bemühungen kam diese jedoch nie zu Stande. So spiegelt beispielsweise die spät erschienene «Charta von Athen» eher die partikularen Vorstellungen Le Corbusiers wider und kann nicht als verbindliches Ergebnis des Treffens begriffen werden.
Die diskursiven und faktischen Voraussetzungen der Städtebaudebatten an Bord, die unterschiedlichen Vorstellungen der Akteure und ihre länderspezifischen Entwurfstraditionen sowie die vergleichende Stadtanalyse auf der Basis moderner kartografischer Darstellungstechniken stehen im Fokus des Forschungsprojekts. Grundlage hierfür sind die Dokumente im CIAM-Archiv des gta Archivs der ETH Zürich, die in den letzten Jahren von verschiedenen internationalen Forschern punktuell bearbeitet wurden. Das Projekt führt diese Ansätze zusammen und publiziert erstmalig alle 34 Stadtanalysen, die sich in Form von gut 230 originalen Sperrholztafeln erhalten haben und zu den bedeutendsten Konvoluten des gta Archivs zählen. Dieser ausführliche und kritische Katalog wird die Grundlage für die Aufsätze sein. Deren Themenfelder sind die Geschichte der Wissensgenerierung durch vergleichende Analyse, grafische Repräsentations- und Kartierungstechniken in der modernen Stadtplanung, die Kritik der Nachkriegsmoderne am vierten CIAM-Treffen und die Traditionslinien von der klassisch modernen Stadtanalyse bis in die Gegenwart.
Die Publikation erhebt den Anspruch, die Stadtanalysen im Katalogteil verbindlich zu erschliessen und durch die Aufsätze in den historischen und internationalen Kontext zu stellen. Sie erscheint in institutioneller Herausgeberschaft der beiden Projektpartner und in englischer Sprache, als Kooperation von NAi Publishers, Rotterdam, mit dem gta Verlag. Das Buch wird wichtige Quellen für die weitere Forschung erstmals systematisch zugänglich machen und einen Meilenstein der Städtebaugeschichte des 20. Jahrhunderts neu zur Diskussion stellen.
«CIAM 4. The Functional City» ist ein Forschungs- und Publikationsprojekt des gta Archivs der ETH Zürich in Kooperation mit der Van Eesteren-Fluck & Van Lohuizen Stichting, Den Haag. Mitglieder des Projektteams: Dirk Frieling (†), Gregor Harbusch (Projektleitung Zürich), Bruno Maurer, Michelle Provoost, Kees Somer, Evelien van Es (Projektleitung Den Haag), Daniel Weiss
Autoren des Katalogteils: Tamara Bjažić Klarin, Enrico Chapel, Konstanze Domhardt, András Ferkai, Helen Fessas-Emmanouil, John R. Gold, Gregor Harbusch, Eric Jennings, Espen Johnsen, Martin Kohlrausch, David Kuchenbuch, Eric Mumford, Paolo Nicoloso, Pauline van Roosmalen, Josep M. Rovira, Rainer Schützeichel, Kees Somer, Klaus Spechtenhauser, Iwan Strauven und Daniel Weiss.
Weiterführende Informationen
Van Eesteren-Fluck & Van Lohuizen Stichting, Den Haag
Kontakt
Gregor Harbusch