Alfred Friedrich Bluntschli (1842–1930)

Geb. 29. Januar 1842 in Zürich, gest. 27. Juli 1930 in Zürich

Alfred Friedrich Bluntschli war ein bedeutender Architekt des Historismus in Deutschland und in der Schweiz sowie Architekturprofessor an der ETH Zürich. Als Fachpreisrichter in Architekturwettbewerben und Mitglied verschiedener Kommissionen und Ausschüsse – darunter die Eidgenössische Kunstkommission und das Zürcher Baukollegium – hatte er wesentlichen Anteil an der Ausrichtung der Schweizer Architektur und Kunst um 1900.

Der einer alten Zürcher Familie entstammende und teilweise in Augsburg und München aufgewachsene Bluntschli entschied sich nicht zuletzt unter dem Einfluss seines Vetters Julius Stadler für ein Architekturstudium in Zürich, das er 1860 antrat. Dort erfuhr er entscheidende Prägungen durch Gottfried Semper und Wilhelm Lübke. Letzterer lehrte in der Nachfolge Jacob Burckhardts Kunst- und Architekturgeschichte, während Semper das ganze Spektrum von theoretischer Lehre über den architektonischen Entwurf bis hin zu praktischen Bauaufgaben umspannte; darüber hinaus zog er die Studenten auch für das Reinzeichnen eigener Entwürfe bei. Nach einer Italienreise 1863/64 setzte Bluntschli seine Studien bei Charles-Auguste Questel an der Pariser École des Beaux-Arts fort.

Seinen Einstieg als bauender Architekt fand Bluntschli 1866 zunächst in Heidelberg. Die Zeit bis Ende 1870 war geprägt durch kleinere Bauaufgaben und Wettbewerbsteilnahmen sowie mehrere Bildungsreisen nach Berlin, Wien, Leipzig, Dresden, Prag und Rom. Als erstes Grossprojekt realisierte er ein Krankenhaus in Konstanz (fertiggestellt 1872).

Die Gründung eines gemeinsamen Büros mit seinem ehemaligen Studienkollegen Carl Jonas Mylius in Frankfurt am Main wurde durch den 1. Preis im Wettbewerb für den Wiener Zentralfriedhof (1870; Planung 1871, Ausführung 1873, 1879–1881) begünstigt. Frankfurt, das nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 einen ausgesprochenen Wachstumsschub erfuhr, bot Mylius & Bluntschli lukrative Bedingungen. Bis 1881 führte das Büro hier zahlreiche Villen und Wohnhäuser aus, ausserdem grössere Bauten wie das Bankhaus Goldschmidt (1872) oder das Hotel Frankfurter Hof (ab 1872). Bluntschli konnte unter diesen Voraussetzungen das Frankfurter und das preussische Bürgerrecht erwerben.

Nachdem Bluntschli Berufungsanfragen 1871 (aus Zürich) und 1880 (aus Karlsruhe) ausgeschlagen hatte, trat er 1881 in Zürich eine Professur an der Bauschule des Eidgenössischen Polytechnikums (seit 1911 Eidgenössische Technische Hochschule) neben Julius Stadler und Georg Lasius an. Die Firma Mylius & Bluntschli wurde aufgelöst, und Bluntschli übersiedelte nach Zürich. Die Fokussierung seines dortigen Unterrichts auf die entwerferischen und künstlerischen Aspekte der Architektur lässt seine Anlehnung an die École des Beaux-Arts sowie auch an die Lehre Gottfried Sempers erkennen. In den Vorlesungen behandelte er die deutsche, französische und italienische Renaissance.

Neben seiner Lehrtätigkeit nahm Bluntschli an prominenten Wettbewerben und Planungsdebatten teil: Sein Beitrag für ein Reichstagsgebäude in Berlin wurde 1882 angekauft; im Wettbewerb für das Eidgenössische Parlamentsgebäude in Bern konnte er sich neben Hans Wilhelm Auer lange halten (1. Preis 1885, Überarbeitung 1891); 1899 wurde Bluntschli im Rahmen der zweiten Wettbewerbsrunde für den Berkeley Campus der kalifornischen Universität nach San Francisco eingeladen. Es folgten Entwürfe für die Tonhalle (1892), das Kunsthaus (1895–1900, u. a. im Rahmen einer Gesamtüberbauung zwischen Utoquai und Theaterstrasse) und die Universität in Zürich (1906/07). In diesem letzten Vorschlag für ein grosses öffentliches Gebäude konnte sich Bluntschli insbesondere durch sein Beharren auf der Idee einer symmetrischen Palastanlage gegenüber einer gruppierten, an die topografische Situation angepasste Lösung (wie sie von Gustav Gull eingebracht und schliesslich von Karl Moser realisiert wurde) nicht durchsetzen.

Grössere Bauten konnte Bluntschli für das Eidgenössische Polytechnikum ausführen (Chemiegebäude, 1884–1886; Physikgebäude, 1886–1890, beide mit Georg Lasius). Die Kirche Enge (1888–1890), die die linksufrige Skyline Zürichs wesentlich mitprägt, ist sein markantester Beitrag im Stadtbild.

Alex Winiger

Zitierweise: Alex Winiger, Bestandsbeschrieb Alfred Friedrich Bluntschli, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, März 2021, archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/alfred-friedrich-bluntschli
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Bestand


  • Pläne und Fotos zu circa 150 Bauten (10 Planschrankschubladen, 2 Regallaufmeter)

In anderen Archiven
  • 62 Skizzenbücher in der Graphischen Sammlung, ETH Zürich
  • Bildsammlung Bluntschlis in der Wissenschaftshistorischen Sammlung, ETH Zürich
  • Schriftlicher Nachlass (Korrespondenz, Kopierbücher, biografische Notizen) in der Zentralbibliothek Zürich

Ausgewählte Literatur


  • Wilhelm Oechsli (Hg.), Geschichte der Gründung des Eidg. Polytechnikums mit einer Uebersicht seiner Entwicklung 1855–1905, Frauenfeld 1905.
  • Hans Bluntschli (Hg.), Lehr- und Wanderjahre des Architekten Alfred Friedrich Bluntschli, 1842–1930 [nach hinterlassenen Aufzeichnungen und Briefen], Zürich 1946.
  • Die Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum 1855–1915, Zürich 1971 (Arbeitsberichte der Architekturabteilung 11).
  • Dieter Dolgner, Historismus. Deutsche Baukunst 1815–1900, Leipzig 1993.
  • Ulrich Maximilian Schumann, Die Freiheit zu bauen. Bürgerarchitektur des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Hubert Salden (Hg.), Die Städelschule Frankfurt am Main von 1817 bis 1995, Mainz 1995.
  • Bernd Altmann, «Mein Motto fürs Leben bleibt Renaissance». Der Architekt Alfred Friedrich Bluntschli (1842–1930), Diss., Universität Trier 2004.
  • Werner Oechslin (Hg.), Hochschulstadt Zürich. Bauten für die ETH 1855–2005, Zürich 2005.
  • Geraldine Ramphal, Alfred Friedrich Bluntschli und der Villenbau im späten 19. Jahrhundert. Umgang mit historischen Bauformen und Dekorationen, Liz.-Arbeit, Universität Zürich 2006.
  • Cristina Gutbrod, Gustav Gull (1858–1942) – Architekt der Stadt Zürich 1890–1911. Zwischen Vision und Baupolitik, Diss., ETH Zürich 2009.