Gustav Gull (1858–1942)
Geb. 7. Dezember 1858 in Altstetten, Zürich, gest. 10. Juni 1942 in Zürich
Gustav Gull entstammte einer Zürcher Baumeisterfamilie. Bereits sein Vater Gottlieb Gull hinterliess in Zürichs Stadtbild Spuren, beispielsweise mit der ersten römisch-katholischen Kirche St. Peter und Paul (1874). Die Brüder Gustav und Albert Gull arbeiteten in den 1880er-Jahren zunächst im väterlichen Baubetrieb mit. Während Gustav Gull nach seinen Studien an der technischen Abteilung der Industrieschule in Zürich (1873–1876), bei Julius Stadler an der Bauschule des Polytechnikums (1876–1879) und an der Ecole des Arts industriels in Genf (1879–1880) sich als freier Entwerfer entfalten und bald Erfolge feiern konnte, führte Albert Gull (1860–1933), ab 1906 zusammen mit Jakob Geiger (1874–1933) unter dem Namen Gull & Geiger, das väterliche Baugeschäft weiter.
1885 gewann Gull zusammen mit Conrad von Muralt den Wettbewerb für ein eidgenössisches Postgebäude in Luzern. Die Ausführung des Gebäudes sowie ein Villenbau für die Familie von Muralts ermöglichten ihm den beruflichen Einstieg als selbständiger Architekt. Der Durchbruch gelang ihm 1890 mit seinem Entwurf für ein Schweizerisches Landesmuseum, mit dem sich Zürich erfolgreich als Museumsstandort bewarb. Der Entwurf, der sich auf mittelalterliche Bauformen des Spätmittelalters und der Frührenaissance (und damit einer Blütezeit der alten Eidgenossenschaft nach den Burgunderkriegen des 15. Jahrhunderts) bezog, setzte sich klar von den übrigen Beiträgen ab und trug massgeblich zur späteren Wahl Gustav Gulls zum zweiten Stadtbaumeister Zürichs bei. Unmittelbar beeinflusst durch den Entwurf ist das bereits 1894, vier Jahre vor der Fertigstellung des Landesmuseums, durch den Neuenburger Architekten André Lambert (1851–1929) errichtete Historische Museum in Bern.
Gull konnte rasch wichtige berufliche und gesellschaftliche Kontakte etablieren. Johann Rudolf Rahn (1841–1912) hatte mit seiner kunsthistorischen Aufarbeitung des Mittelalters in der Schweiz das Fundament zum Landesmuseumsentwurf gelegt. Gull nahm später vielfach Bezug auf Rahn und wurde von diesem unterstützt, so bei der Konzeption bzw. Restaurierung von Bauten im Stadtkern wie dem Turm der Predigerkirche (1896), dem Stadthaus Zürichs (1898–1901) und der Restaurierung der Fraumünsterkirche (1897, Ausführung bis 1912). Der Architekt Hans Conrad Pestalozzi (1848–1909), seit 1889 Stadtpräsident Zürichs, konnte mit der Wahl Zürichs zum Standort des Landesmuseums bereits zu Beginn seiner Amtszeit einen grossen Erfolg vorweisen und wollte sich Gulls Dienste für die nach der ersten Eingemeindung von 1893 anstehenden repräsentativen Grossbauten unbedingt sichern. Gull wurde 1895 dem bisherigen Stadtbaumeister Arnold Geiser (1844–1909) zur Seite gestellt und behielt auch nach seinem Rücktritt 1900 zugunsten einer Professur am Polytechnikum Aufträge (wie die Überbauung des Werdmühle- und Oetenbachareals, 1897–1914) und Einsitze in Gremien wie dem städtischen Baukollegium, Preisgerichten und städtischen sowie kantonalen Baukommissionen. Er konnte so die Entwicklung der Stadt Zürich bis 1911 massgeblich beeinflussen. Die Übersichtspläne, die er zwischen 1894 und 1905 erstellte, zeigen eine städtebauliche Gesamtvision auf, in die er eigene Planungen einordnete wie diejenige für die Stadthausbauten, aber auch solche, die später von anderen Architekten (Universität, Sihlporte, Stampfenbachareal) oder gar nicht (Tonhalleareal, Obmannamtareal, Fortführung des Zähringerdurchbruchs) ausgeführt wurden. Die Wertschätzung Gulls erfuhr ihren Höhepunkt mit der Präsentation seines Entwurfs für die Stadthausbauten anlässlich der Feier des 50-jährigen Bestehens des eidgenössischen Polytechnikums 1905.
Während sich Gull vor 1890, in der Tradition der Semper-Schule, noch stark mit Bauformen der italienischen Renaissance befasst, zeugen sein Landesmuseumsentwurf und der Stadthausbau beim Fraumünster von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem baulichen Erbe des Mittelalters und der Frührenaissance in der Schweiz. Die Anlage am Oetenbach und Werdmühleplatz wiederum lässt die Bezugnahme auf Camillo Sittes Werk "Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen" von 1889 erkennen und sucht, in synthetisierenden Bauformen, räumlich-malerische Wirkungen. Bei der Erweiterung des Polytechnikum-Gebäudes nimmt Gull schliesslich wieder Sempers Formen auf.
Ab 1911 fand sich Gull mit seiner Architekturauffassung vermehrt starker Kritik ausgesetzt. Sein städtisches Verwaltungszentrum, 1905 noch weitgehend unumstritten, wurde nun als veraltete Repräsentationsgeste wahrgenommen. Trotzdem war Gull noch bis in die 1930er-Jahre im Zürcher Baugeschehen präsent. Seine Bauten für die Stadt Zürich vollendete er 1918, wobei das monumentale Stadthaus über der Uraniastrasse zugunsten eines schlichten Verwaltungsbaus, 1936 ausgeführt durch Gulls Schüler Hermann Herter (1877–1945), fallengelassen wurde. Die Um- und Neubauten für das eidgenössische Polytechnikum (ETH Zürich) schloss er 1925 ab. Bis 1932 arbeitete er an der Erweiterung des Landesmuseums und führte 1933–35 den Umbau des Kunstgewerbeflügels durch, der durch den Umzug der Kunstgewerbeschule in den Neubau von Steger & Egender am Sihlquai 1933 frei geworden war. Hinzu kommen zahlreiche Bebauungspläne, Gutachten und Studien, beispielsweise für den Hauptbahnhof (bis 1932) oder das Kongresshaus Zürichs (1935–1936).
Alex Winiger (wesentlich basierend auf Gutbrod 2009)
Zitierweise: Alex Winiger, Bestandsbeschrieb Gustav Gull, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, März 2011, www.archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/gustav-gull
© gta Archiv / ETH Zürich und der Autor, alle Rechte bleiben vorbehalten. Dieses Werk darf für nichtkommerzielle, pädagogische Zwecke kopiert und weiterverbreitet werden, wenn die Erlaubnis des Autors und der Inhaber der Nutzungsrechte erteilt ist. Für die Genehmigung wenden Sie sich bitte an das gta Archiv.
Der Nachlass Gulls gelangte nach seinem Tod 1942 zu einem Teil an die Baubibliothek der ETH Zürich. Die Pläne sind vermutlich weitgehend an das gta Archiv übergegangen, während ein grosser Teil der Bibliothek offenbar in der Baubibliothek verblieben ist, wo er leider nicht als Nachlassbestandteil registriert wurde. Ein weiterer Teil des Nachlasses verblieb bei verschiedenen Angehörigen der Familie und wurde 2003 an das gta Archiv übergeben.
Weiteres Material, insbesondere Pläne und Protokolle und Briefe, finden sich unter anderem im Stadtarchiv und im Baugeschichtlichen Archiv sowie beim Amt für Baubewilligungen Zürich, in verschiedenen Kirchgemeindearchiven, dem Archiv der Zürcher Kunstgesellschaft und der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich.
Gustav Gull entstammte einer Zürcher Baumeisterfamilie. Bereits sein Vater Gottlieb Gull hinterliess in Zürichs Stadtbild Spuren, beispielsweise mit der ersten römisch-katholischen Kirche St. Peter und Paul (1874). Die Brüder Gustav und Albert Gull arbeiteten in den 1880er-Jahren zunächst im väterlichen Baubetrieb mit. Während Gustav Gull nach seinen Studien an der technischen Abteilung der Industrieschule in Zürich (1873–1876), bei Julius Stadler an der Bauschule des Polytechnikums (1876–1879) und an der Ecole des Arts industriels in Genf (1879–1880) sich als freier Entwerfer entfalten und bald Erfolge feiern konnte, führte Albert Gull (1860–1933), ab 1906 zusammen mit Jakob Geiger (1874–1933) unter dem Namen Gull & Geiger, das väterliche Baugeschäft weiter.
1885 gewann Gull zusammen mit Conrad von Muralt den Wettbewerb für ein eidgenössisches Postgebäude in Luzern. Die Ausführung des Gebäudes sowie ein Villenbau für die Familie von Muralts ermöglichten ihm den beruflichen Einstieg als selbständiger Architekt. Der Durchbruch gelang ihm 1890 mit seinem Entwurf für ein Schweizerisches Landesmuseum, mit dem sich Zürich erfolgreich als Museumsstandort bewarb. Der Entwurf, der sich auf mittelalterliche Bauformen des Spätmittelalters und der Frührenaissance (und damit einer Blütezeit der alten Eidgenossenschaft nach den Burgunderkriegen des 15. Jahrhunderts) bezog, setzte sich klar von den übrigen Beiträgen ab und trug massgeblich zur späteren Wahl Gustav Gulls zum zweiten Stadtbaumeister Zürichs bei. Unmittelbar beeinflusst durch den Entwurf ist das bereits 1894, vier Jahre vor der Fertigstellung des Landesmuseums, durch den Neuenburger Architekten André Lambert (1851–1929) errichtete Historische Museum in Bern.
Gull konnte rasch wichtige berufliche und gesellschaftliche Kontakte etablieren. Johann Rudolf Rahn (1841–1912) hatte mit seiner kunsthistorischen Aufarbeitung des Mittelalters in der Schweiz das Fundament zum Landesmuseumsentwurf gelegt. Gull nahm später vielfach Bezug auf Rahn und wurde von diesem unterstützt, so bei der Konzeption bzw. Restaurierung von Bauten im Stadtkern wie dem Turm der Predigerkirche (1896), dem Stadthaus Zürichs (1898–1901) und der Restaurierung der Fraumünsterkirche (1897, Ausführung bis 1912). Der Architekt Hans Conrad Pestalozzi (1848–1909), seit 1889 Stadtpräsident Zürichs, konnte mit der Wahl Zürichs zum Standort des Landesmuseums bereits zu Beginn seiner Amtszeit einen grossen Erfolg vorweisen und wollte sich Gulls Dienste für die nach der ersten Eingemeindung von 1893 anstehenden repräsentativen Grossbauten unbedingt sichern. Gull wurde 1895 dem bisherigen Stadtbaumeister Arnold Geiser (1844–1909) zur Seite gestellt und behielt auch nach seinem Rücktritt 1900 zugunsten einer Professur am Polytechnikum Aufträge (wie die Überbauung des Werdmühle- und Oetenbachareals, 1897–1914) und Einsitze in Gremien wie dem städtischen Baukollegium, Preisgerichten und städtischen sowie kantonalen Baukommissionen. Er konnte so die Entwicklung der Stadt Zürich bis 1911 massgeblich beeinflussen. Die Übersichtspläne, die er zwischen 1894 und 1905 erstellte, zeigen eine städtebauliche Gesamtvision auf, in die er eigene Planungen einordnete wie diejenige für die Stadthausbauten, aber auch solche, die später von anderen Architekten (Universität, Sihlporte, Stampfenbachareal) oder gar nicht (Tonhalleareal, Obmannamtareal, Fortführung des Zähringerdurchbruchs) ausgeführt wurden. Die Wertschätzung Gulls erfuhr ihren Höhepunkt mit der Präsentation seines Entwurfs für die Stadthausbauten anlässlich der Feier des 50-jährigen Bestehens des eidgenössischen Polytechnikums 1905.
Während sich Gull vor 1890, in der Tradition der Semper-Schule, noch stark mit Bauformen der italienischen Renaissance befasst, zeugen sein Landesmuseumsentwurf und der Stadthausbau beim Fraumünster von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem baulichen Erbe des Mittelalters und der Frührenaissance in der Schweiz. Die Anlage am Oetenbach und Werdmühleplatz wiederum lässt die Bezugnahme auf Camillo Sittes Werk "Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen" von 1889 erkennen und sucht, in synthetisierenden Bauformen, räumlich-malerische Wirkungen. Bei der Erweiterung des Polytechnikum-Gebäudes nimmt Gull schliesslich wieder Sempers Formen auf.
Ab 1911 fand sich Gull mit seiner Architekturauffassung vermehrt starker Kritik ausgesetzt. Sein städtisches Verwaltungszentrum, 1905 noch weitgehend unumstritten, wurde nun als veraltete Repräsentationsgeste wahrgenommen. Trotzdem war Gull noch bis in die 1930er-Jahre im Zürcher Baugeschehen präsent. Seine Bauten für die Stadt Zürich vollendete er 1918, wobei das monumentale Stadthaus über der Uraniastrasse zugunsten eines schlichten Verwaltungsbaus, 1936 ausgeführt durch Gulls Schüler Hermann Herter (1877–1945), fallengelassen wurde. Die Um- und Neubauten für das eidgenössische Polytechnikum (ETH Zürich) schloss er 1925 ab. Bis 1932 arbeitete er an der Erweiterung des Landesmuseums und führte 1933–35 den Umbau des Kunstgewerbeflügels durch, der durch den Umzug der Kunstgewerbeschule in den Neubau von Steger & Egender am Sihlquai 1933 frei geworden war. Hinzu kommen zahlreiche Bebauungspläne, Gutachten und Studien, beispielsweise für den Hauptbahnhof (bis 1932) oder das Kongresshaus Zürichs (1935–1936).
Alex Winiger (wesentlich basierend auf Gutbrod 2009)
Zitierweise: Alex Winiger, Bestandsbeschrieb Gustav Gull, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, März 2011, www.archiv.gta.arch.ethz.ch/nachlaesse-vorlaesse/gustav-gull
© gta Archiv / ETH Zürich und der Autor, alle Rechte bleiben vorbehalten. Dieses Werk darf für nichtkommerzielle, pädagogische Zwecke kopiert und weiterverbreitet werden, wenn die Erlaubnis des Autors und der Inhaber der Nutzungsrechte erteilt ist. Für die Genehmigung wenden Sie sich bitte an das gta Archiv.
Bestand
Der Nachlass Gulls gelangte nach seinem Tod 1942 zu einem Teil an die Baubibliothek der ETH Zürich. Die Pläne sind vermutlich weitgehend an das gta Archiv übergegangen, während ein grosser Teil der Bibliothek offenbar in der Baubibliothek verblieben ist, wo er leider nicht als Nachlassbestandteil registriert wurde. Ein weiterer Teil des Nachlasses verblieb bei verschiedenen Angehörigen der Familie und wurde 2003 an das gta Archiv übergeben.
- Planbestand und Fotos: circa 3 Planschränke, 1 Hängeregister-Schrank, 2 Laufmeter Regale
- 1 Modell Polytechnikum
- Bibliothek: 0,8 Laufmeter
Weiteres Material, insbesondere Pläne und Protokolle und Briefe, finden sich unter anderem im Stadtarchiv und im Baugeschichtlichen Archiv sowie beim Amt für Baubewilligungen Zürich, in verschiedenen Kirchgemeindearchiven, dem Archiv der Zürcher Kunstgesellschaft und der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich.
Ausgewählte Literatur
- Martin Fröhlich und Martin Steinmann, Imaginäres Zürich. Die Stadt, die nicht gebaut wurde, Zürich 1978.
- Michael Koch, Städtebau in der Schweiz, 1800–1990, Zürich 1992.
- Schweizerisches Landesmuseum (Hg.), Die Erfindung der Schweiz 1848-1998. Bildentwürfe einer Nation, Zürich 1998.
- Hanspeter Draeyer, Das Schweizerische Landesmuseum Zürich. Bau- und Entwicklungsgeschichte 1889–1998, Zürich 1999.
- Amt für Hochbauten Zürich (Hg.), Drei Umbaustrategien. Die Zürcher Verwaltungsbauten von Gustav Gull, Zürich 2004.
- Werner Oechslin (Hg.), Hochschulstadt Zürich. Bauten für die ETH 1855–2005, Zürich 2005.
- Regine Abegg, «Urbane Promenaden und Aussichtstribünen. Die Seequais von Luzern, Zug und Zürich», in: Nutzen und Zierde. Fünfzig historische Gärten in der Schweiz, Zürich 2006
- Anna Pia Maissen, «Ein unflätiger und morastiger Platz» oder Zürichs heimeligstes Quartier? Der Kratz in Zürich und seine Geschichte, in: Metropol Zürich. Ein Geschäftshaus von Clariden Leu, Zürich 2007.
- Daniel Kurz, Die Disziplinierung der Stadt. Moderner Städtebau in Zürich 1900 bis 1940, Zürich 2008.
- Regine Abegg, Spätgotische Stuben und Flachschnitzfriese aus dem Hof der Fraumünster-Äbtissin Katharina von Zimmern im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich, Zürich 2008.
- Cristina Gutbrod, Zürichs Stadtarchitekt. Gustav Gull – der Architekt des Landesmuseums – wurde vor 150 Jahren geboren, in: Neue Zürcher Zeitung, 6./7. Dezember 2008, S. 53.
- Cristina Gutbrod, Gustav Gull (1858–1942) – Architekt der Stadt Zürich 1890-1911. Zwischen Vision und Baupolitik, Diss., ETH Zürich 2009.